B21F6BB4-1C5E-4341-9402-72115F03EA26 10. Dezember 2019

Faktor Mensch statt selbstlernende Maschinen

TAWNY bietet Emotion AI-Algorithmen für verschiedene Branchen und Kunden an, von Medienunternehmen bis hin zu Automobilherstellern.

TAWNYs USP ist es, kundenspezifische Algorithmen zu entwickeln, die auf vorhandenen Kerntechnologien basieren, um Emotion AI auf skalierbarer Basis zu entwickeln. Als ein weiteres Angebot hat TAWNY die weltweit erste Emotion Analytics Plattform als Software-as-a-Service Angebot entwickelt.

Wo siehst du Chancen/Potentiale der künstlichen Intelligenz in der zukünftigen Arbeitswelt?

Als Anwendungsbeispiele für KI werden häufig Chatbots für die Kundenkommunikation, automatisierte Werbeanzeigen, vorausschauende Wartung auf Basis von Geräte- und Maschinendaten, Lager- und Wegoptimierung, Diagnosesysteme in der Medizin oder selbstfahrende Autos genannt. Im Wesentlichen geht es bei diesen Anwendungen um die Verbesserungen von Maschinen oder Prozessen durch Autonomisierung und selbstlernende Systeme. Die Effizienz soll maximiert werden. Der nächste und bisher kaum eingeschlagene Entwicklungspfad in der KI-Welt wird die Berücksichtigung des Faktors „Mensch“ sein. Wieso gibt es predictive maintenance bei Maschinen in der Produktion, aber noch keinen emotional intelligenten Gehilfen, der uns Menschen dazu verhilft in den Zustand der Entspanntheit gepaart mit fokussierter Aufmerksamkeit zu gelangen und diesen so lange wie möglich auch zu halten? In der Psychologie und Motivationslehre wird dieser Zustand auch „Flow-State“ genannt. Er steht für hohe mentale Produktivität mit potentiell positiven Effekten auf den Gesundheitszustand, die physische Leistungsfähigkeit und Beurteilung der Arbeitstätigkeit. Für die Arbeitswelt der Zukunft wird bei TAWNY daran geforscht, wie basierend auf psychologischen Daten (z.B. Herzratenvariabilität und elektrodermale Aktivität) in Kombination mit Gesichtserkennungsanalyse auf Basis von Videodaten und Stimmanalyse der menschliche „Flow Zustand“ automatisiert und in Echtzeit mit Hilfe von künstlicher Intelligenz erkannt werden kann. Die Gestaltung der Arbeitsorganisation und das Arbeitsumfeld kann also unmittelbar am Menschen ausgerichtet werden, denn ein toller Arbeitsplatz mit Sitzsack, Kicker, Creative Space und Home Office nützt reichlich wenig, wenn der Arbeitnehmer mit seiner Tätigkeit akut über- oder unterfordert ist.

Welche Risiken stehen der deutschen Industrie bevor?

Bei der Entwicklung von KI und EI Systemen gibt es natürlich immer hundert Gründe dieses zukunftsweisende Innovationsfeld nicht anzufassen. Hierzu zählt der besondere Schutz von gesundheitsbezogenen Daten, die potentiell bedrohlichen Auswirkungen von KI auf den Arbeitsmarkt, Cyber-Risk, Fachpersonalmangel oder große Startinvestitionen, die sich nur auf längere Zeit rechnen können. Trotzdem wird man sich den vorgezeichneten vier Entwicklungsstufen der EI nicht verweigern können. Das größte Risiko ist es also nichts zu tun. Wer das Thema der Innovation im KI Bereich nicht ganz oben auf der Agenda hat, hat den Schuss der digitalen Transformation immer noch nicht gehört. Diese endet nicht mit der Digitalisierung vormals analoger Prozesse, sondern geht unmittelbar über in eine Phase sogenannter „smart connected product sytems“, bei denen Daten eine entscheidende Rolle spielen. Nach dem Risiko gefragt trifft für Unternehmen nahezu aller Branchen der digitale Darwinismus in Form einer Auslese nach dem Prinzip „adapt or die“ zu. Natürlich läuft dieser Prozess abhängig von dem Betätigungsfeld in unterschiedlicher Geschwindigkeit ab, er ist aber genauso wenig zu verleugnen wie der Klimawandel. Für Europa und Deutschland sehe ich insbesondere im Wettbewerb mit USA und China das Risiko, dass wir zu weit zurückfallen. Das beziehe ich nun weniger auf den Bereich der wissenschaftlichen KI-Forschung, sondern eher auf die Bereitschaft einer zeitnahen, pragmatischen und großangelegten Anwendung. Der lächerlich geringe 1% Prozentanteil von Elektroautos im Fuhrpark der Bundesregierung ist verglichen mit dem durch die Regierung getriebenen KI-Einsatz eine große Leistung.

Wie schätzt du den Impact von AI/EI auf bestehende Industriestrukturen ein?

KI ist die neue Elektrizität. Ich finde das ist eine sehr treffende Analogie, wenn man sich vor Augen hält, dass elektrische Energie die Mobilität, Industrialisierung, Landwirtschaft, Medizin und den gesamten Alltag der Menschen von Grund auf umgekrempelt hat. Um den Impact der KI auf bestehende Industriestrukturen zu begreifen, muss man sich also die Frage stellen: Was hat eigentlich die Einführung der Elektrizität bewirkt? KI wird sich ähnlich auf unsere Industrien auswirken. Auf einen Zeitstrahl gebracht, stand für die Bewältigung der Herausforderungen im 19. Jahrhundert die menschliche Gehirnleistung zur Verfügung, im 20. Jahrhundert haben wir Computer programmiert die unsere Probleme lösen sollen und im 21. Jahrhundert werden Computer mit KI andere Computer programmieren, die unsere Probleme lösen. Das Bild der Zukunft muss dabei ein empathisches Miteinander von Mensch und Maschine sein. Diese Zukunft gilt es aktiv nach dem Prinzip des Human-Centered-Designs zu gestalten. Zum einen als Vertreter der Verbraucher, die als transparente Menschen mehr oder weniger bereitwillig ihre Daten zur Verfügung stellen, aber durchaus auch als Vertreter der Industrie, die auf dem Weg zu einer vernetzten „Superintelligenz“ Geschäftsinformationen, Know-How und datenbasierte Businessmodelle geschützt sehen will.

Über Dr. Michael Bartl

Dr. Michael Bartl ist Vorstand der HYVE Unternehmensgruppe für Innovation in München. Von 2011 bis 2014 wurde er zum Bundesvorstand des Berufsverbands Deutscher Mark- und Sozialforscher gewählt. In 2012 erfolgte die Berufung zum Senator in den Senat der Wirtschaft. Seit 2019 ist er Beirat des Campus der Sinne der Fraunhofer-Gesellschaft. Die jüngsten und vielfach ausgezeichnete Neugründungen sind ICAROS und TAWNY als Technologie-Startups im Bereich Virtual Reality und Artificial Intelligence.